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Musikalische Veranstaltung

Samstag, 15. Mai, 20 Uhr Evangelische Kirche, Mühlenberger Weg 64 | Eintritt 7 Euro


Tröste mich wieder mit deiner Hilfe
Biblische Psalmen und Gedichte
Paul Celan, Heinrich Schütz, Josef Rheinberger, Aribert Reiman, Gustav Jenner
Cantus Blankenese, Annegret Saphir: Rezitation,
Tim Sewerloh: Altus, Maria Jürgensen: Orgel
Leitung: Susanne Scholtz

Programm

Paul Celan (1920-1970) Psalm (Rezitation)
Heinrich Schütz (1585-1672) Psalm 116
Josef Rheinberger (1839-1901) Sonate Nr. 11 in d-Moll, op. 148, Agitato - Cantilene
Aribert Reimann (*1936) Eingedunkelt (Paul Celan, 1920-1970)
Josef Rheinberger Sonate Nr. 11 in d-Moll, op. 148, Intermezzo - Fuge
Psalm 51 (Rezitation)
Gustav Jenner (1865-1920) Psalm 51, 12-14
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Texte

Heinrich Schütz: Psalm 116
Das ist mir lieb, dass der Herr mein Stimm und Flehen höret,
dass er sein' Ohren zu mir neiget. Darum will ich ihn mein Leben lang anrufen.
Stricke des Todes hatten mich umfangen, und Angst der Hölle hatten mich troffen; ich kam in Jammer und Not.
Aber ich rief an den Namen des Herren: O Herr, errette meine Seele!
Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig.
Der Herr behütet die Einfältigen; wenn ich unterliege, so hilft er mir.
Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Guts.
Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, mein' Fuß vom Gleiten.
Ich will wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen.
Ich glaube, darum rede ich: ich werde aber sehr geplagt.
Ich sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner.
Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er mir tut?
Ich will den heilsamen Kelch nehmen und des Herren Namen predigen.
Ich will meine Gelübde dem Herren bezahlen vor allem seinem Volk.
Der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn.
O Herr, ich bin dein Knecht, ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn; du hast meine Bande zerrissen.
Dir will ich Dank opfern und des Herren Namen predigen.
Ich will meine Gelübde dem Herren bezahlen vor allem seinem Volk,
In den Höfen am Haus des Herren, in dir, Jerusalem. Alleluja!


Gustav Jenner: Psalm 51, 12-14 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, gewissen Geist,
verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.
Tröste mich wieder mit deiner Hilfe, und der freudige Geist erhalte mich.

Aribert Reimann: Eingedunkelt (Paul Celan) 1992
I
Wirfst Du
Den beschrifteten
Ankerstein aus?
Mich hält hier nichts,
nicht die Nacht der Lebendigen,
nicht die Nacht der Unbändigen,
nicht die Nacht der Wendigen,
Komm, wälz mit mir den Türstein
Vors Unbezwungene Zelt.

II
Deutlich, weithin, das offne
Umklammerungszeichen,
Entlassen die Liebenden,
auch aus der Ulmwurzel-Haft,
Schwarz-
züngiges, reif , am Sterben,
wird abermals laut, Beglänztes
rückt näher.

III
Über die Köpfe
hinweggewuchtet
das Zeichen, traumstark entbrannt
am Ort, den es nannte.
Jetzt:
Mit dem Sandblatt winken,
bis der Himmel
raucht.

IV
Angefochtener Stein,
grüngrau, entlassen
ins Enge.
Enthökerte Glutmonde
Leuchten
das Kleinstück Welt aus:
das also warst du
auch.
In den Gedächtnislücken
stehn die eigenmächtigen Kerzen
und sprechen Gewalt zu.

IX
Füll die Ödnis in die Augensäcke,
den Opferruf, die Salzflut,
komm mit mir zu Atem
und drüber hinaus.
V
Bedenkenlos,
den Vernebelungen zuwider,
glüht sich der hängende Leuchter
nach unten, zu uns
Vielarmiger Brand,
sucht jetzt sein Eisen, hört,
woher, aus Menschenhautnähe,
ein Zischen,
findet,
verliert,
schroff
liest sich, minutenlang,
die schwere,
schimmernde
Weisung.

VI
Nach dem Lichtverzicht:
der vom Botengang helle,
hallende Tag.
Die blühselige Botschaft,
schriller und schriller,
findet zum blutenden Ohr.

VII
Eingedunkelt
die Schlüsselgewalt.
Der Stoßzahn regiert,
von der Kreidespur her,
gegen die Welt-
sekunde.

VIII
Vom Hochseil herab-
Gezwungen, ermisst du,
was zu gewärtigen ist
von soviel Gaben,
Käsig-weißes Gesicht
dessen, der über uns herfällt,
Setz die Leuchtzeiger ein, die Leucht-
Ziffern,
Sogleich, nach Menschenart,
mischt sich das Dunkel hinzu,
das du herauserkennst
aus all diesenunbußfertigen,
unbotmäßigen
Spielen.

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Zu den Komponisten

Heinrich Schütz, *1585 in Köstritz, †1672 in Dresden, erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei G. Otto unter der Gönnerschaft des Landgrafen Moritz von Kassel. Durch ein Stipendium konnte sich Schütz für 3 Jahre zu den Schülern von Giovanni Gabrieli in Venedig zählen. Nach dem Tod Gabrielis 1612 kehrte er an den Kasseler Hof zurück, bis der sächsische Kurfürst Johann Georg I. nach langem Ringen zwischen beiden Fürsten Schütz abwarb. Schütz wurde 1617 zum kurfürstlich-sächsischen Hofkomponisten ernannt. Bis auf kurze Aufenthalte an den Höfen von Hildesheim und dem dänischen Hof in Kopenhagen verbrachte Schütz sein ganzes, langes Leben in Dresden. Schütz hat überwiegend geistliche Musik in deutscher Sprache komponiert. Die Vertonung des 116. Psalms, SWV 51, gehört zu seinen früheren erhaltenen Werken. Die Entstehungszeit liegt vor 1623, denn diese Psalmvertonung wurde bereits 1623 zum ersten Mal in Jena gedruckt. Es ist ein allein stehendes Werk, welches an seine Italienischen Madrigale (1611) anknüpft. Im Gesamtschaffen Schützens sucht diese Psalmvertonung an Bildhaftigkeit ihresgleichen. Ausgangspunkt der musikalischen Erfindung ist die Nachahmung des rhetorischen Sprechens. So werden musikalische Figuren gefunden, die die "Stricke des Todes", die "Angst der Höllen" oder "mein' Fuß vom Gleiten" nachmalen. Im Gegensatz zu den klangvollen, mehrchörigen Werken im Stile Gabrielis besticht dieser Psalm durch seinen Reichtum an textausdeutender Gestaltung.

Aribert Reimann, *1936 in Berlin, gleichermaßen geprägt von der kirchenmusikalischen Arbeit seines Vaters, eines Chordirigenten aus dem Kreis der Leipziger Schule, wie von seiner Mutter, einer bekannten Oratoriensängerin, begann selbst schon früh zu komponieren und entwickelte sich daneben zum Konzertpianisten. Schon 1957 gab er seine ersten Konzerte als Pianist, wobei sich bald die Liedbegleitung zu einem künstlerischem Schwerpunkt entwickelte, ein Fach, das er schon in den Liedklassen seiner Mutter beherrschen lernte, und in dem er heute zu den international renommiertesten Künstlern gehört. Es hat ihm die Freundschaft und Förderung großer Sängerpersönlichkeiten eingetragen wie Elisabeth Grümmer, Catherine Gayer, Barry McDaniel oder Dietrich Fischer-Dieskau und Brigitte Fassbaender, mit denen er häufig Konzerte gab und für die er einen großen Teil seiner Werke geschrieben hat. Der Liederzyklus "Eingedunkelt" ist Brigitte Fassbaender gewidmet, die ihn 1993 uraufgeführt hat.

Gustav Jenner, *1865 in Keitum (Insel Sylt), †1920 in Marburg/Lahn, war der einzige Kompositionsschüler von Johannes Brahms. Diese Schülerschaft offenbart sich deutlich in Jenners Kompositionen. So ist in der Vertonung des 4. Bußpsalms "Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz" sehr deutlich der Geist Johannes Brahms zu spüren. In der ausgedehnten Fuge über den Vers "und der freudige Geist erhalte mich" tritt Jenners Vorliebe für strenge kontrapunktische Formen zutage.

Josef Rheinberger, *1839 in Vaduz (Fürstentum Liechtenstein), †1901 in München, erhielt nach erstem Unterricht in der Heimatstadt seine Ausbildung an der Musikschule in München. Er war Organist an verschiedenen Münchener Kirchen. 1877 wird er zum Königlichen Kapellmeister und Dirigenten der Königlichen Vokalkapelle ernannt. Er wird Philosophischer Ehrendoktor an der Münchener Universität und Ehrenmitglied der Königlichen Akademien von Paris und Florenz. Als Kirchenmusiker wusste er sich zeitlebens der Orgel verpflichtet, so dass die Arbeit an den 20 Orgelsonaten sein ganzes Leben durchzieht. Als Komponist stand er in Form und melodischer Linienführung in der Tradition von Mendelssohn, im kontrapunktischen Satz knüpfte er an Bach an.

Cantus Blankenese
Leitung: Kirchenmusikerin Susanne Scholtz
Cantus Blankenese wurde im Mai 2001 als finanziell selbständiger Gemeindechor gegründet. Die meisten der ca. 30 Mitglieder verfügen über langjährige Chorerfahrung; wir sind deshalb glücklich, in Susanne Scholtz eine erfahrene Kirchenmusikerin gefunden zu haben, die den vielfältigen Ansprüchen an Stimmbildung, Programmgestaltung und Auswahl des Repertoires in jeder Hinsicht voll gerecht wird.
Unser Schwerpunkt gilt der geistlichen a-cappella-Musik von der Renaissance bis zur Gegenwart; daneben erarbeiten wir weltliche Literatur aller Jahrhunderte, ernstes und heiteres. Besonders hervorzuheben sind aus unserem Repertoire die Missa brevis op. 102 von Knut Nystedt sowie der Zyklus: Sechs Lieder im Freien zu singen op. 59 von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Außer unseren Konzerten und der Mitwirkung im Gottesdienst in Blankenese sind wir gern gesehener Gast in anderen Gemeinden und in Hamburgs Umgebung, so z.B. anläßlich der Stunde der Kirchenmusik in St. Petri, sowie Gestaltung einer Vesper in St. Jacobi und eines Konzertes in St. Marien, beide Lübeck.
Im August 03 führte uns eine Konzertreise in die wundervollen Dome von Bad Wilsnack und Havelberg. Im August 2004 folgen wir einer Einladung des Klosters Stift Heiligengrabe, in der Reihe der dortigen Abendmusiken mitzuwirken. Cantus-Proben finden, auch während der Hamburger Schulferien, donnerstags von 20 bis 22 Uhr im Gemeindehaus statt. Über Interesse an unserer Arbeit und Verstärkung freuen wir uns, sprechen Sie dazu bitte den Chorrat an:
Katharina Pauk: Tel. 87 00 78 42
Annegret Saphir: Tel. 87 55 94
Ottfried Stoll: Tel. 81 85 34
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Begrüßung Susanne Scholtz

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Namen von Cantus Blankenese begrüße ich Sie sehr herzlich zu dem heutigen Konzert. Ich begrüße auch Maria Jürgensen und Tim Sewerloh, die mit ihren Beiträgen auf der Orgel und mit ihrem Gesang unser Programm bereichern. Gestatten Sie mir einige einleitende Worte. Als Frau Johannsen im Herbst des vergangenen Jahres auf mich zukam und den Cantus Blankenese einlud, ein Konzert im Rahmen der geplanten Ausstellung "Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese" zu veranstalten, war einer meiner ersten Gedanken das Alte Testament und das Buch der Psalmen, welche Lebens- und Glaubensgrundlage von Juden und Christen gleichermaßen sind. Manchmal passiert es in der Vorbereitung zu einem Konzert, dass der Zufall seine Hände im Spiel hat. In diesem Fall war es ein Anruf von Herrn Sewerloh, der einige Celan-Vertonungen von Aribert Reimann anbot. So ließ ich den Gedanken an das Alte Testament wieder fallen und konzentrierte mich ganz auf das Aufeinandertreffen von Psalmen mit Texten von Paul Celan. Paul Antschel - so lautet der bürgerliche Name von Celan - war Jude, er wurde in Czernowitz in Galizien, in der heutigen Ukraine geboren. Während des zweiten Weltkrieges war er in einem rumänischen Arbeitslager interniert. Sein literarisches Werk ist von den traumatischen Erlebnissen des Holocaust geprägt, dem 1942 auch seine Eltern zum Opfer fielen. Dagegen schrieb Celan in einer neuen, verschlüsselten Sprache an. Mit den Blankenesern, derer in der Ausstellung gedacht wird, hat er den Freitod gemeinsam. Celan wählte den Selbstmord als Ausweg jedoch erst 1970, 25 Jahre nach Kriegsende. Angesichts so viel Leid und Schuld steht am Ende des Konzertes der vierte von insgesamt sieben Bußpsalmen. Gustav Jenner, der einzige nachgewiesene Kompositionsschüler von Johannes Brahms, vertonte zwei - nicht zuletzt in der Bearbeitung seines Lehrers - berühmte Verse des 51. Psalms: "Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz".

Psalmen sind Lieder, Gebete, Weisheits- oder Segenssprüche des alten Israel, die in einem Buch, dem Psalter gesammelt wurden. Im hebräischen Text sowie in der Übersetzung nach Martin Luther gibt es insgesamt 150 Psalmen. Die ältesten Psalmen reichen ins 10. und 11. Jahrhundert vor Christus zurück.

Der 116. Psalm ist ein Dankpsalm eines einzelnen Menschen. Dieser dankt Gott für die Errettung aus Todesgefahr. Dabei wird nicht nur die Not und die Bedrängnis, sondern auch die Errettung aus derselben geschildert. Ganz anders als wir es aus dem Psalter gewöhnt sind, tritt uns Paul Celans Gedicht "Psalm" gegenüber, welches 1963 in der Gedichtsammlung "Die Niemandsrose" erschien. Gott scheint darin so unendlich weit weg zu sein, dass er zu einem Niemand geworden ist.

Ich wünsche Ihnen und uns einen anregenden und bewegenden Konzertabend.